Lautloser Jäger
Die Elektro-Katzen werden in Graz aus dem Sack gelassen: Der Jaguar I-Pace kann Stadt, Land, Rennstrecke und Gelände.
Klar war, dass Jaguar das Thema Elektroauto im gewohnt Performance-orientierten Stil umsetzt. Ebenso keine Überraschung ist, dass der erste Vollelektriker das SUV- und Crossover-Segment bedient. Der I-Pace reiht sich optisch fast nahtlos zu F-Pace und E-Pace in die Modellpalette ein. Mit speziellen Design-Merkmalen: Die Motorhaube ist wesentlich kürzer, mangels Verbrenner, doch steckt hinter dem Grill ein echter Kühler. Die Fahrgastzelle ist weit nach vorne gerückt, das ergibt reichlich Innenraum für Passagiere (fünf Plätze) und Ladegut (656 bis 1.453 Liter Volumen). Das Heck ziert kein fein ziselierter Popo, sondern eine steile Abrisskante, was der Aerodynamik ebenso dient wie die versenkbaren Türgriffe.
Das Interieur ist im englischen Stil gehalten (offenen Kamin gibt’s nicht), die Möbel in edlem Leder oder veganen Recycling-Materialien. Digital ist das Cockpit, mit TFT-Display und von einer Handvoll Drehregler garniertem dualem Touchscreen-System, das im Vorjahr im Rangie Velar debutiert hat. Das komplette Konvolut an Assistenz und Infotainment samt Internet-Anschluss an Bord versteht sich von selbst.
Gehobenes Niveau
In vier Jahren Entwicklungszeit sind die Aluminium- und die Fahrdynamik-Expertise sowie die Erfahrungen aus der Formel E, wo man nach zwölf Jahren Absenz in den Motorsport zurückgekehrt ist, in den I-Pace eingeflossen. Die Hände im Spiel hatten die österreichischen Automotiv-Aushängeschilder AVL und Magna Steyr. In Graz wird die Elektrokatze gebaut. Das Resultat ist ein Batterie-Triebling mit je einem E-Motor an jeder Achse und gesamt 400 PS Leistung sowie 696 Nm Maximaldrehmoment.
Anhand variabler – heckbetonter – Antriebskraftverteilung ist permanent 4×4 gegeben. Der 90 kWh-Akku im Wagenboden sorgt, samt 50:50-Gewichtsverteilung, für Ausgewogenheit und Stabilität. Die Traktions-Zuteilung an beide Achsen taugt für Offroad-Passagen. Aus der Konzern-Verwandtschaft mit Land Rover stammen die entsprechenden Fahrprogramme, das Niveau kann um fünf Zentimeter angehoben werden, die Wattiefe (ja, mit einem E-Auto) beträgt eine halben Meter.
Weitreichend
Diesem Gesamtpaket bescheinigt Jaguar eine mögliche Reichweite von 480 Kilometern nach WLTP-Prüfverfahren. Der Stromverbrauch ist mit 21,2 bis 24,2 kWh pro 100 Kilometer angegeben. Zum Test haben die Engländer eine Schar von I-Pace aller europäischen Händler-Länder in die Algarve geschickt. Die Elektro-Katze pirschte über Autobahnen, kurvige Landstraßen und durch Dörfer wie Städtchen.
Im dichten Verkehrsgewühl erweist sich der Stromer als lautlos bzw. viel weniger laut als alle anderen, und überaus antrittsstark. Selbst bei höherem Speed dringt fast kein Laut in den Innenraum, grad ein bissl Fahrtwind. Ein elektronisches Akustik-Signal kann man dazuschalten, es imitiert aber nicht einen V6 oder V8. Das fahrdynamische Versprechen hält der I-Pace. Nach ein paar Kilometern ist schon Nebensache, dass er ein Stromer ist. Erst recht nach einer gar nicht so faden Geländepassage.
Renn, Mieze, renn!
Auf der Rennstrecke von Portimão bewies er Lenkpräzision, die – abgeregelten – 200 km/h Top-Speed sind keine Phantasie. Auf dem technisch anspruchsvollen Berg- und Tal-Kurs allerdings wirft er merkbar seine 2,2 Tonnen in die Waagschale. Die Bremsen wirken davon nach drei Runden kaum gefordert. Sie tragen auf öffentlichen Verkehrswegen zum forcierten Haushalten mit der E-Energie bei. Bei höchster Rekuperation sorgt das System nach Art einer Motorbremswirkung dafür, dass man nur mehr mittels Gas-, pardon Strompedal fahren kann.
Auch hat Jaguar dem einstufigen Getriebe einen Kriechgang à la Wandlerautomatik implantiert – praxisfreundliches Atout im Stau. Dem Ausreizen der Sprintbereitschaft folgte das Spiel mit der Strom-Pedalerie. Wir wären gesamt deutlich mehr als 300 Kilometer weit gekommen. Der Preis: ab 78.380 Euro