Bestseller auf Strom: VW e-Golf im Test
Wie weit ist „weit“?
Volkswagen bleibt sich auch bei der E-Mobilität treu: Nüchtern, praxistauglich, solid – kann der Golf auch als Elektriker überzeugen?
Zuerst die trockenen Zahlen: Der e-Golf ist bei 22 ausgewählten VW-Händlern ab 36.200,- Euro zu haben; dieser Preis beinhaltet ESP, Navigationssystem, Zweizonen-Klima, spezielle 16-Zoll-Räder etc. die Akkus kauft man, anders als bei manchen Konkurrenten, mit.
Dabei ist auch die Jahreslizenz für eine App namens Car-Net e-Remote mit elektronischem Fahrtenbuch, Fernbedienung der Klimaanlage etc. Die Komfort-Goodies im Testwagen (Ledergarnitur, Sitzheizung, Licht- und Regensensor, Fernlichtautomatik, Multifunktionslenkrad eine zusätzliche Wärmepumpe zur Heizung und einiges mehr) kommen von der Aufpreisliste, und damit steigt der Fahrzeugpreis über die 43.000-Euro-Marke.
Golf wie Golf
Im Innenraum beruhigende Normalität: Man sitzt, fährt, lebt wie in einem Golf. Das beruhigt auch konservative Geister; nicht jeder mag einen Techno-Pod als Alltagsfahrzeug. Der Nutzwert ist in keiner Weise eingeschränkt. Auch das Fahren fühlt sich, kurz gesagt, völlig normal an. Die Geräuschkulisse im Innenraum entspricht der eines konventionellen Autos mit guter Isolation. Den Fahrtwind hört man etwas mehr, weil man den Motor etwas weniger hört. Der flotte Anschub des E-Antriebs und die vierfach verstellbare Rekuperationsstärke erweisen sich im City-Verkehr als angenehm.
Das Mitbremsen bei der Energierückgewinnung ist ein Komfort-Plus. Es macht Spaß, via Display zu verfolgen, wie man sozusagen Sprit macht. Das funktioniert im Stadtverkehr tadellos. Da entspricht ein Kilometer der Reichweitenanzeige ungefähr einem Real-Kilometer. Bis Tempo 80 stimmt diese Relation ungefähr. Wenn’s nicht zu kalt ist – wir waren teilweise noch im „Spätwinter“ des Aprils unterwegs, und Kälte schätzt ein E-Fahrzeug nicht. Da wird von der Reichweite einiges abgeknapst, auch wenn man auf Komfort wie die Sitzheizung verzichtet. Die Antriebsleistung variiert; im Normal-Modus hat man 85 kW/116 PS und 270 Nm zur Verfügung, auf „Eco“ sind es 70 kW und 220 Nm (bei Top-Speed von 115 km/h), auf „Eco+“ 55 kW und 175 Nm bei maximal 90 km/h, und ohne Klimaanlage.
Mayday!
Wir fahren gerne elektrisch, denn das Fahrgefühl ist ein durchaus luxuriöses. Man wäre also entspannt, wäre da nicht die Reichweitenanzeige. Sie macht nervös. Über 100 km/h geht der Verbrauch deutlich in die Höhe, die Reichweite nimmt deutlich ab – vielleicht kommt die Deutlichkeit nur aus unserem eigenen Kopf? Denn es gibt sie, die Reichweitenangst. Wer den Stromspeicher bis zur Neige leert, erlebt ein sterbendes System: Nach und nach wird alles Überflüssige abgeschaltet, das Tempo begrenzt – es sind einsame Momente. Die Regel für Fahren ohne Sorge ist: Sobald das Auto steht, muss es ans Netz. Über die Haushaltssteckdose dauerte das volle Aufladen gut sechs Stunden. Schnellladestationen gibt es zumindest in den städtischen Räumen bereits einige, auch in den Einkaufs-Clustern halten sie Einzug.
Am flachen Land wird’s mühsam. Als Kurzzeit-Elektriker ohne Kundenkarte, Vertragsbindung etc. hätten wir uns Auftanken gegen bare Münze gewünscht, oder einfach eine Karten-Kassa. Was ist daran so schwer? Und: „schnell“ ist klarerweise nicht so schnell, wie wir’s vom Benzinauto gewöhnt sind. Laterndlparker ohne eigenen Parkplatz samt Stecker mit einem E-Auto nicht optimal bedient sind, das gilt auch für alle, die oft lange Strecken fahren. Wer nur kurze Strecken fährt, braucht womöglich kein Fahrzeug um 40.000 Euro. Diese Entscheidung liegt beim Kunden.
Praktische Nachteile hat der e-Golf als Fahrzeug nicht, die E-Mobilität als Konzept allerdings schon noch. Mit denen muss man leben können und wollen.
Fotos: Robert May
Motor: Elektromotor
Leistung: 8 kW/116 PS
Drehmoment: max. 270 Nm
Höchstgeschwindigkeit: 140 km/h
0-100 km/h: 10,4 Sekunden
Verbrauch (Werk): 12,7 kW/h auf 100 km
Testverbrauch (Durchschnitt): 17,6 kW/h auf 100 km
Reifen: 205/55 R16
Kraftübertragung: Vorderradantrieb
Fahrwerk: vorne McPherson-Aufhängung; hinten Mehrlenkerachse
Bremsen: Scheibenbremsen, vorne innenbelüftet; ABS, ESP
Leergewicht: 1.533 kg
Preis: 36.200,- Euro
Preis des Testwagens: 43.283,60 Euro